Ergometer-Training: die Chance im Lockdown Winter
Das Mannschaftsboot bleibt diesen Winter nur wenigen Paaren und Familien überlassen. Die meisten Ruderwilligen müssen auf das - zugegebenermaßen im November attraktiv und abwechslungsreich auf den Bootsplatz gestellten - Ergometer umsteigen. Michael Buchheit hat dazu mit Hintergrundinfos und Tipps folgenden Beitrag für die Verbandszeitschrift Rudern erstellt, den ich hier leicht gekürzt einfüge.
Die Rudersaison 2020 ist fast komplett ausgefallen, aber die Ergometer Saison 2020/21 findet statt. Neben dem Home Office wird nun also auch im Home Studio hart gearbeitet und wer möchte, kann auch im Home Studio auf Regatta gehen. Die Ergometer-Regatten finden statt. Im sogenannten live-Format werden die Ergometer online verbunden und man startet gleichzeitig, aber jeder Teilnehmende bleibt in seinem Home Studio. Alternativ gibt es auch das technisch einfachere Format der Rangliste, bei dem jeder Teilnehmende sein Ergebnis innerhalb eines bestimmten Zeitraums postet.
Die European Rowing Indoor Championships, ERICH, werden im Dezember im live Modus ausgetragen und das größte Ereignis, die World Rowing Indoor Championships, WRICH, Ende Februar. Die Qualifikation für die WRICH ist bis zum 7. Februar noch für jeden offen, vom Junior bis zur höchsten Masters Klasse.
In diesem Winter hat man also eine gute Gelegenheit, sich mit dem Ergometer etwas näher zu beschäftigen.
Um sich eine Grundlage zu schaffen, bietet es sich an, sich eine längere Strecke vorzunehmen, z.B. die 5.000m. Für diese Streckenlänge muss man weder eine sehr hohe Schlagzahl beherrschen, noch ist die Verausgabung so extrem wie bei 1.000 oder 2.000m.
Für das Training auf dem Ergo gelten andere technische Voraussetzungen des Geräts, die zu berücksichtigen sind:
- Das Ergo hat nur einen einzigen technischen Inputfaktor, die Geschwindigkeit des Windrades! Aus der Änderung dieser Geschwindigkeit (Differenz vordere/hintere Umkehr), wird die Leistung bzw. die Geschwindigkeit bzw. der Kalorienverbrauch pro Schlag berechnet resp. die Schlagzahl, der Druckverlauf und alle weiteren Anzeigewerte.
- Der Widerstand, den der Rudernde durch seinen Zug überwindet, besteht im Wesentlichen aus dem Luftwiderstand, den das Windrad erzeugt, dem Eigengewicht des Windrads und den Übertragungsverlusten im Antriebssystem (Griff, Kette, Ritzel u.ä.). Wie auch im Ruderboot überwindet der Rudernde zusätzlich die Trägheit des eigenen Körpergewichtes, horizontal aus der vorderen Umkehr heraus, und forciert die muskuläre Bewegungsgeschwindigkeit des eigenen Körpers bei der Entfaltung der Zuggeschwindigkeit. Das Ergo bewegt sich nicht, Bootsgewicht und vertikal einwirkendes Körpergewicht erhöhen den Ruderwiderstand nicht.
Auf dem Wasser erzeugt der gleiche Rudernde, abhängig von der Bootsklasse und auch der jeweiligen Sitzposition im Mannschaftsboot, eine andere und jeweils typische, optimale Druckkurve. Dies liegt an dem jeweils leicht anders formulierten Widerstandssystem je Bootsklasse (Massen, Geschwindigkeit, Bootseinstellungen, inkl. Skulls/Riemen).
Um dem Rudernden nicht nur den einen, willkürlich festgelegten, baubedingten Widerstand anzubieten, hat das Ergo mit dem Windfächer eine zusätzliche Variabilität des Windwiderstands (“drag factor”) eingebaut. Mit geschlossenem Windfächer muss man sich erheblich schneller bewegen (Bewegungsgeschwindigkeit), um dieselbe Leistung zu erzeugen, wie bei einem maximal offenem Windfächer, bei dem dann die relative Muskelspannung deutlich höher ist. Jede/r kennt das ähnliche Gefühl eines nicht passenden drag factors auch vom Radfahren, wenn der Gang zu schwer oder zu leicht ist.
Für das Training stellen sich nun die folgenden Aufgaben:
- Was ist meine optimale Schlagstruktur und drag factor?
- Was ist meine optimale Fahrgeschwindigkeit für die 5.000m?
- Was ist meine optimale Schlagfrequenz?
Um das eigene, individuelle Optimum für diese drei Aufgaben zu finden, sollte man die Belastungssteuerung pro Schlag subjektiv erspüren (Bewegungsgeschwindigkeit vs Muskelspannung), diese häufig testen und mit einem Pulsmesser zusätzlich objektivieren.
Schlagstruktur und Drag Factor
Die optimale Schlaglänge richtet sich nur danach, wie der Rudernde durch seine körperliche Streckung und Muskelspannung den Zuggriff gegen den dahinter wirkenden Widerstand optimal beschleunigen kann.
Die Schlaglänge ist zu lang, wenn der Ruderer so weit vorgeneigt ist, dass er diese Körperwinkel nicht mehr gewinnbringend und unmittelbar in den Zug einbringen kann oder sich gar erst mobilisieren muss. Die Schlaglänge ist zu kurz, wenn der Rudernde mit der Muskelspannung nicht lang genug gegen den Widerstand einwirken kann, da seine Körperbewegung zu kurz ist.
Es fällt auf, dass viele der besten Ergo-Rudernde eher ein wenig kürzer rollen als im Boot (nicht ganz volle Länge), sich vorne nicht überstrecken und den Griff nicht so nahe an das Windrad bringen. Sie sitzen eher aufrecht und rollen in der vorderen Umkehr auf die Fußballen hoch.
Im Durchzug wird der Oberkörper direkt in die Zugspannung nach hinten einbezogen und über den Schlag nach hinten hin abgewippt. In der hinteren Umkehr ist es dann das auffällige Markenzeichen des Ergo-Ruderns, dass der Griff aus den Armen heraus noch einmal kurz und schnell beschleunigt wird und dabei Richtung Brust hochgezogen wird.
Letzteres lässt sich vielleicht mechanisch damit begründen, dass das Boot nicht einsinkt und somit die Zugbewegung höher auskommt und das weniger Spannung in der ausgezogenen Kette verloren geht. In jedem Fall ist das Windrad über den Durchzug schneller geworden und somit inkrementell, relativ leichter zu beschleunigen, da die Massenträgheit des Rades geringer geworden ist. Diesen kleinen rudertechnischen Vorteil eines zusätzlichen Impulses über die Arme am Ende des Zuges, kann man leicht überprüfen und auch bei den Ergo-Spezialist/innen beobachten.
Je höher der drag factor, desto stärker bremst das Windrad auch zwischen den Schlägen ab und umso besser kann man mit dem nächsten Schlag wieder einen Beschleunigungsanstieg erzeugen. Denn dem Ergometer kommt es nicht auf den Bootslauf an, sondern allein auf die Geschwindigkeitsdifferenz des Windrades zwischen Druckaufnahme und Ende des Zuges.
Jeder muss jeweils für sich testen, ab welchem drag factor die Muskelspannung nicht mehr zu erbringen ist und die Leistung sinkt. Das Rudern mit unterschiedlichem drag factor ist grundsätzlich ein effektives Trainingsspiel, bei leichterem drag factor zur Steigerung der körperlichen Bewegungsgeschwindigkeit, bei schwererem zur spezifischen Kraftentwicklung.
Frauen typischerweise DF 115-130
Männer typischerweise DF 135-170
Die angestrebte Leistung als “500m-Zeit”
Wie schnell kann ich auf 5.000m fahren? Diese Frage sollte man vor einem Test gut beantworten können und dazu im Training viele Übungen absolvieren. Je schmaler die Margen sind, in denen man arbeiten kann, und das möglichst nah an seiner Leistungsgrenze, desto optimaler wird ein Test, weil man dann auch das nötige Vertrauen darin aufgebaut hat, dass man diese “Zahlen” auch durchhält.
Man muss wissen, dass eine um 1-2 sek. zu hohe 500m-Zeit zu einem Leistungseinbruch führen wird und, dass z.B. eine 1-2 Schläge niedrigere SF die Laktatkonzentration zu schnell ansteigen lassen wird, “dicke Beine” genannt.
Mit welcher Vorgabe fängt man an? Man kann z.B. von einem vergleichbarem Ruderer eine 500m-Zeit abschauen bzw. sich daran orientieren und eine realistische, eigene Zeit damit abschätzen. Zusätzlich kann man eine kürzere Strecke fahren, z.B. 500m oder 60 sek und von diesem Wert eine Hochrechnung machen, auf die mögliche 5.000m Zeit. Beide Überlegungen kann man dann in Einklang bringen und eine erste Vorgabe im Training ausprobieren.
Die Schlagfrequenz
Nachdem der eigentliche Schlag resp. die Kraftkurve und auch ein drag factor ermittelt wurden, geht es nun darum, die individuell optimal Schlagfrequenz (SF) zu ermitteln. Die SF ist elementar für jede Belastung, da sie, mit der avisierten 500m-Zeit, die wichtigste Orientierungsgröße für den Rudernden ist. Während der Belastung stellt man Schlag für Schlag fest, ob man die optimale SF einhält, oder aber, sofort korrigieren muss. 1-2 SF Abweichung zum vorherigen Schlag sind dabei bereits eine kritische Größe.
Die richtige Frequenz der Bewegung, um weder zu fest zu werden, noch zu kurzatmig, lässt sich damit auf 1-2 Schläge genau, individuell bestimmen. Tendenziell honoriert der Concept2 aus mechanischen Gründen eine höhere Schlagzahl. Wer kann, sollte das nutzen, die Spezialisten in den Nationalmannschaften fahren über 5.000m eine SF von 36 und höher.
Ein bemerkenswerter Unterschied zu einem Ruderrennen ist, dass man beim Ergofahren quasi eine Schlagzahl-Reserve einbauen kann. Das heißt, dass man nach nur wenigen Startschlägen, die angestrebte, konstante Dauergeschwindigkeit fährt, und dabei auf dem ersten Abschnitt graduell, 1-2 Schläge, unter der eigenen, angestrebten Schlagzahl bleibt. Die Idee ist, so lange man “kann”, die angestrebte 500m-Zeit mit der noch “frischen” Muskelspannung relativ einfacher zu erzielen, und dann erst Schlag für Schlag die Schlagzahl auf die angestrebte, nachhaltige Streckenschlag Frequenz anzuheben, für den Großteil der Strecke, wenn diese “Frische” nachlässt. Anders als bei einem klassischen Ruderrennen nutzt man also die “Frische” nicht, um die ersten 500m deutlich über Durchschnitt zu fahren. Im Gegenteil, das international populäre, sogenannte “negative splitting”, also die graduell über die Strecke schneller werdenden 500m-Zeiten, beweisen hier ihren physiologischen Mehrwert.
Die geplante, optimale Schlagzahl hält man dann so lange wie möglich. Tief in der zweiten Streckenhälfte steigert man sie dann mit zunehmendem Bedarf, um auch dann noch die Dauergeschwindigkeit zu halten. Ist man dann hinreichend nah ans Ziel gekommen, nimmt man die Schlagzahl hoch, für einen langgezogenen Endspurt. Ob man die Streckengeschwindigkeit optimal nah an seiner Leistungsgrenze gefahren ist, zeigt sich auf den letzten 500m, wenn man trotz des höheren Aufwands kaum oder gar nicht schneller als im Schnitt davor ist.
Fazit
Das Ergometerfahren fokussiert den Rudernden auf seine physiologische Leistungserbringung, es kommt eben nicht darauf an, was man für das Boot tun muss. Gleichzeitig stellt es die rudertechnische Aufgabe, bei gleicher körperlicher Leistung, schnellere Zeiten auf dem Ergo zu erzielen, es zu “überlisten”.
Diese rudertechnische Herausforderung kann nicht entlang eines Bootsgefühls erfolgen, wie wenn man etwa von einem Doppelvierer in einen Riemenvierer umsteigt, sondern sie erfolgt im Rahmen der mechanischen Wirkungszusammenhänge, die die Geschwindigkeit des Windrades beeinflussen.
Mancher Teilaspekt des Ruderschlages ist dabei gleich, wie z.B. eine schnelle, vordere Druckaufnahme, die sowohl auf dem Ergo als auch im Boot Vorteile bringt. Allerdings sind die Gründe dafür unterschiedlich. Andere Aspekte sind sehr C2 spezifisch, wie der typische, hochgewischte Endzug, der im Boot nicht umsetzbar ist.
Wer sich also auf das Ergofahren auch rudertechnisch einlässt, wird nicht nur schnellere Zeiten erzielen, sondern auch seine Rudertechnik variabler beherrschen, vor allem aber, wird man das Ergometertraining spannender finden.
Zudem, viele Ergofahrer lieben den Austausch, sind sehr aktiv in zahlreichen Apps, online Listings, den sozialen Medien, bei realen und virtuellen Rennen, bilden Trainingsgruppen und nehmen an Gruppentrainings teil. In Deutschland gab es schon 2018 ca. 250.000 Ergometer, Tendenz stark steigend.
Foto: Irene Thiede